Das F-Muster oder: Warum keiner richtig im Internet liest

29. September 2008

Mark Bauerlein, Autor des Buches The Dumbest Generation, hat mit seinem Aufsatz Online Literacy Is a Lesser Kind einige Aufmerksamkeit erregt. Darin zieht er heftig über die heutige Jugend her und stellt die These auf, dass am Computer gelesene Texte anders gelesen werden. Er beruft sich auf eine Studie von Jakob Nielsen, die durch das Beobachten von Augenbewegungen beim Surfen herausgefunden hat, dass viele User nicht allen Text auf einer Seite lesen, sondern dass die Konzentration gegen Ende immer mehr nachlässt. Ein paar Bilder zeigen dieses von ihm so genannte F-Muster anschaulich:

Diese Studie hat natürlich Auswirkungen auf die Darstellung von Geschichte im Internet. Langer Text ist das Medium der Geschichtswissenschaften – wenn ihn allerdings keiner richtig liest, ist das bemerkenswert. Daher hier ein paar Thesen zum F-Muster:

1) Das Lesen am Bildschirm ist anstrengender als das Lesen von Papier. Längeres Arbeiten am Monitor ist anstrengend für die Augen und selbst der beste TFT nützt da nichts. Bei den in der Geschichtswissenschaft verbreiteten PDFs stört außerdem auch der weiße Hintergrund, der auf einem Monitor richtig in die Augen strahlt.
2) Ein Buch ist reiner Text, Webseiten besitzen häufig sehr ablenkende Element. Bunte, blinkende Bannern, Animationen, Werbung und Navigationselemente stören den Lesefluss. Werbebanner sind sogar häufig absichtlich so gestaltet, dass sie die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich ziehen. Wenn plötzlich eine riesige Layerwerbung aufpoppt, ist es mit dem Lesefluss erstmal vorbei.
3) Webbrowser neigen dazu, die Aufmerksamkeit abzulenken. Man hat immer mehrere Tabs offen, Katzenfotos sind im Zweifelsfall doch interessanter als der trockene Text und ansonsten klingelt das Postfach mit ablenkenden E-Mails oder ICQ piept.
4) Viele Texte im Internet sind einfach schlecht geschrieben. Der Artikel von Bauerlein ist ein gutes Beispiel: Am Anfang wird die sehr interessante Studie behandelt, aber dann verkommt der Artikel zu einer schlechten Jugendkritik. Anfangs liest man also genau, am Ende überfliegt man ihn nur noch – eben im F-Muster.
5) Die Informationsüberflutung im Internet kann man nur bewältigen, indem man selektiv liest und vieles überfliegt. Alleine um eine Seite wie Spiegel.de wirklich zu lesen, müsste man mehrere Stunden pro Tag investieren. So viel Zeit hat kein Mensch zur Verfügung. Daher werden viele Artikel angelesen, aber uninteressante dann schnell nur noch überflogen.
6) Man liest generell mehr. In der Prä-Internetära hat ein normaler Mensch vielleicht eine Zeitung gelesen und abends die Tagesschau geguckt. Heute ist es problemlos möglich, den Spiegel, die New York Times, die Süddeutsche und die Zeit täglich anzusurfen. Auch hier neigt man eher zum Anlesen und nicht zum intensiven Studium eines Textes.
7) Gerade für deutsche User gibt es häufig den Sprachsprung – wir lesen einfach mehr englische Texte als früher. Plötzlich bemerkt man, dass man auch auf spanischen oder russischen Seiten navigieren kann, ohne viel vom Text zu verstehen. Wer einmal blind navigiert, tut es auch auf deutschen Seiten.
8 ) Querlesen ist auch nichts schlimmes, sondern eine wichtige Technik, die einem sogar im Studium ausdrücklich empfohlen wird.

Weiterhin könnte es sich lohnen, die Studie einmal kritisch zu untersuchen. So wurden z.B. alle Pageviews, die länger als 10 Minuten dauerten, ausgeschlossen, weil angeblich der Browser offen gelassen wurde während der User etwas anderes tat. Das könnten aber auch genau die Leute gewesen sein, die einen Text genau lesen.
Weiterhin muss man zwischen normalen Lesern und wissenschaftlichen Lesern unterscheiden. Ein Wissenschaftler, der ein Dokument für eine Arbeit benötigt, wird es auch am Bildschirm ausführlich lesen. Daher die ganzen Dissertationen, Magisterarbeiten oder Aufsätze auch im Internet ihren Platz – da geht es um Zugänglichkeit und nicht um ein verändertes Leseverhalten. Gravierender ist die Studie allerdings für Angebote, die sich an Laien wenden. Hier stellt sich die Frage, wie man ein breites Publikum erreicht, wenn das grundliegende Werkzeug der Wissensvermittlung anders funktioniert als gedacht.


Tote Webseiten wiederbeleben mit der Wayback Machine

20. September 2008

Eines der größten Probleme des Internets aus der Sicht eines Historikers ist, dass Internetseiten schnell aus dem Netz verschwinden können. Hier im Blog reichen ein paar Klicks und schon ist ein Post gelöscht. Das ganze Blog zu entfernen, ist auch nicht viel schwerer. Das gilt für jede andere Internetseite: Der Betreiber verliert die Lust und löscht sie, das Hosting wird ihm zu teuer, Domainsquatter klauen die Domain oder ein Relaunch der Webseite verändert alle URLs oder gar den gesamten Inhalt.
Jeder, der aus irgendeinem Grund diese Webseite in einer Arbeit zitiert hat oder nur auf sie verlinkte, steht jetzt im Regen. Die Informationen auf der Seite sind weg.
Abhilfe kann die Wayback Machine des Internet Archive schaffen. Sie durchsucht seit 1996 das Internet und speichert Webseiten. Mittlerweile sind 85 Milliarden Seiten im Index und die Chancen, eine wichtige Seite wiederzufinden, sind relativ hoch. Das macht die Wayback Machine zu einem wichtigen Werkzeug für jeden Internetnutzer und auch jeder Historiker sollte sie kennen und im Ernstfall benutzen.
Sie ist natürlich auch eine exzellente Quelle zur Geschichte des Internets. Alleine eine kleine Stichprobe zeigt, wie stark sich das Internet seit Gründung der Wayback Machine verändert hat.
Falls man eine Internetseite in einer offiziellen Veröffentlichung zitiert, kann es sich lohnen, zu schauen, ob die entsprechende Seite mit dem genauen Inhalt bereits im Index vorhanden ist. Ansonsten kann man sie auch ohne großen Aufwand hinzufügen lassen.


Historische Figuren als Lego

19. September 2008

Ziel des Fine Clonier Historical Figure Contest war es, historische Figuren mit Lego nachzubauen. Dabei sind einige interessante Kreationen herausgekommen wie z.B. der oben gezeigte Bismarck. Die Lego-Figuren bieten natürlich nur relativ geringe Gestaltungsmöglichkeiten und daher werden die historischen Personen hauptsächlich über allgemein bekannte Attribute dargestellt. Abraham Lincoln wäre ohne den Zylinder wohl kaum zu erkennen:


Der Zweite Weltkrieg als Gif

18. September 2008

Dieses animierte Gif eines unbekannten Autoren wird wohl manchen Historiker dazu bringen, frustriert mit dem Kopf gegen die Wand zu hämmern:

Dabei ist das ganze natürlich nicht ernst gemeint: Das animierte Bild greift typische Umgangsformen von Computerspielen auf, die online über das Internet gespielt werden. Die meisten von ihnen bieten den Spielern die Möglichkeit, sich entweder per Text oder Sprache zu verständigen. Dabei hat sich im Laufe der Zeit ein typischer Slang herausgebildet, der hier den historischen Personen in den Mund gelegt wird.
Dabei wird der Humor natürlich direkt aus dem Tabubruch bezogen, den Weltkrieg als Chat darzustellen. Man kann darüber lachen – oder eben nicht. Auf jeden Fall zeigt dieses kleine Bild eines: Während die Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg in der Schule und an der Universität immer von einer gewissen Ernsthaftigkeit geprägt ist, gibt es gleichzeitig in der populären Kultur noch die scherzhafte, humoristische Variante.


Google News Archive Search

10. September 2008

Google hat ein neues Großprojekt gestartet: Google News Archive Search hat das Ziel, möglichst viele Zeitungsarchive einzuscannen und online verfügbar zu machen. Für Google ist das die konsequente Weiterführung der Buchsuche, für Historiker wird sich in Zukunft wohl einiges verändern.
Letztes Semester habe ich in einer Hausarbeit mit dem Archiv des Spiegels gearbeitet, das ebenfalls komplett und kostenlos im Internet abzurufen ist. Auch wenn das Spiegel-Archiv einige Probleme mit der Benutzerfreundlichkeit und Bedienbarkeit hat, ist es doch deutlich einfacher zu durchsuchen und zu bearbeiten als ein Papier oder Mikrofilmarchiv. Ein kleines Beispiel verdeutlicht das wohl am Besten: Nehmen wir an, ich brauche einen bestimmten Artikel, z.B. den, der 1962 die Spiegel-Affäre ausgelöst hat. Die herkömmliche Methode ist es, sich in die Straßenbahn zu setzen, zur Unibibliothek zu fahren, dort den Mikrofilm zu bestellen und dann den Artikel auf einem altertümlichen Mikrofilmleser zu lesen. Vorausgesetzt, man hat bereits einen Bibliotheksausweis und eine in der Nähe, die den Spiegel in ihren Beständen hat. Ansonsten wird die Angelegenheit noch viel komplizierter – und gerade bei regionalen Zeitungen aus fremden Ländern müssen wohl die meisten Bibliotheken und Archive passen. Da bleibt dann nur die Anfrage, ob man eine Kopie zugeschickt bekommen kann oder eine teure Reise. Wenn es nicht unbedingt nötig ist, wird man dankend darauf verzichten.
Online ist das ganze einfach und in wenigen Sekunden erledigt: Einfach den passenden Suchbegriff eingeben oder gleich die richtige Ausgabe aufrufen und sofort lesen. Weltweit, egal wo: Am bequemsten ist es immer noch zuhause im Lesesessel mit einem heißen Kaffee und nicht in stickigen Lesesälen. Es ist auch möglich, die gefundenen Daten zu speichern oder zu verlinken. So wird die Nachprüfbarkeit deutlich verbessert – zitiere ich aus einem Artikel, der nicht allgemein verfügbar ist, stehen ihr größere Hürden gegenüber.
Viel wichtiger ist aber das verbesserte Auffinden von Informationen und Zeitungsartikeln: Wenn Google es wirklich hinkriegt wie geplant, eine vernünftige Volltextsuche anzubieten, dann stehen dem Historiker völlig neue Möglichkeiten zur Verfügung: So kann man dann bequem innerhalb kürzester Zeit herausfinden, wie Zeitungen weltweit über ein Ereignis berichtet haben. Wie haben zum Beispiel Zeitungen in Russland auf den Absturz der Hindenburg reagiert? Und wie wurde die Politik Hitlers in Polen vor 1939 beurteilt? Alle Antworten sind dann nur wenige Klicks entfernt.
Nicht zu vergessen ist, dass Google diese Archive nicht nur für Historiker baut, sondern auch für normale Menschen. Der Historiker an der Uni hat bereits jetzt Zugriff auf eine enorme Quellenbasis, die für viele Menschen bisher unerreichbar ist. Das eben Erwähnte könnte vielleicht möglich werden.
Momentan ist der Dienst aber leider noch etwas unausgereift, was vor allem an den wenigen erfassten Zeitungen liegt. Außerdem sind viele dieser Angebote auch noch Pay-per-View, was extrem lästig ist.


Gorbachov: The Music Video

10. September 2008

Dieses Video der russischen Metalband ANJ ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Zum einen ist es optisch extrem gut gemacht und zum anderen entspricht die Darstellung der russischen Geschichte genau dem üblichen westlichen Bild.

Der Regisseur Tom Stern hat folgendes zum Konzept des Videos zu sagen:

I did this video for a Russian Metal Band called ANJ. It is pretty crazy. When I saw the lyrics it seemed to be an earnest tribute to Mikael Gorbachov (that’s how the Russians spell it), so I was a bit confounded about what the video concept should be, but then I had a brainstorm to take it way over the top and I think it was just the thing. Suffice to say it’s half Russian History allegory as told through an old zombie movie made in the Soviet Union, and half animated Soviet Propaganda posters.

Wir müssen wohl nicht erwähnen, dass Stalin-Zombies natürlich völlig ahistorisch sind. Interessant ist aber die Darstellung Gorbatschows: Während er in der Realität ein eher zögerlicher Entscheider war, dessen Ziel natürlich nicht die Auflösung der Sowjetunion war, sondern ihre Stärkung durch Reformen, ist er hier der heldenhafte, bewaffnete Kämpfer gegen Unterdrückung und Stalinismus. Dies ist eine typisch westliche Sichtweise: Gorbatschow als Kämpfer gegen den Kommunismus, der den Russen den Kapitalismus, Reichtum und westliche Kultur (Sex, Hotpants, Konsum) brachte.
Dabei ist die Darstellung im Video natürlich so dermaßen überzogen, dass man kaum von einer wirklichen Beschäftigung mit der Geschichte ausgehen kann: Schon der Regisseur spricht davon, das Video „way over the top“ gestaltet zu haben und auch der Inhalt wirkt nicht so, als ob das alles ernst gemeint ist.


Das Ziel dieses Blogs

7. September 2008

Geschichte ist kollektives Erinnern. Damit unterscheidet sich die Geschichte von anderen Wissenschaften, wie zum Beispiel der Astrophysik, die nur von Experten betrieben werden können. Im Gegenteil: Jeder hat etwas zur Geschichte zu erzählen, jeder hat seine eigenen Vorstellungen und Erfahrungen.
Diese Vorstellungen sind auch für die Geschichtswissenschaft entscheidend. Was nützt denn eine neue Studie, die mit viel Arbeit und vielen Fakten ein neues Licht auf einen historischen Vorgang wirft, wenn sie in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird?
So ist die Wikipedia mittlerweile die Informationsquelle für die Mehrheit der Internetnutzer. Ein wissenschaftliches Buch erreicht vielleicht einige tausend Leser, die Wikipedia als eine der zehn meistbesuchtesten Internetseiten weltweit mehrere Millionen. Da ist es interessant, wie dort Geschichte dargestellt wird. Ähnliches gilt auch für Dinge, die man schnell als „Blödsinn“ abtut, aber selbst ein schlechtes Video auf YouTube kann schnell jedes noch so erfolgreiche Buch an Reichweite übertreffen.
In diesem Blog wollen wir sammeln, wie Geschichte im Internet behandelt wird. Dazu werden wir diverse Kuriositäten vorstellen, die Möglichkeiten zur Geschichtsdarstellung im Internet diskutieren, diverse Webseiten unter die Lupe nehmen und uns einfach zu dem äußern, was uns gerade beschäftigt. Und natürlich darf auch der Blick über den Tellerrand nicht fehlen: Egal ob Film, Fernsehen, Musik, Computer- oder Brettspiel, wenn Geschichte behandelt wird, ist es unser Thema.