Facebook und die Nazis

3. Mai 2009

Die Zeit (und auch andere Medien wie Heise) berichten über die aktuellen Probleme des Social Networks Facebook. Nachdem jemand festgestellt hat, dass sich dort auch rechtsextreme Menschen tummeln. Bei angeblich 200 Millionen Mitgliedern ist das natürlich zu erwarten, aber für Facebook ist das ganze ein Desaster:

Einerseits ein Imageschaden. Andererseits bedroht der Fall auch das Geschäftsmodell. Werben Firmen doch dort, weil sie gezielt Menschen erreichen wollen. Leider aber haben sie keinen Einfluss darauf, wo ihre Anzeigen genau erscheinen. Stattdessen werden Cluster gebildet: Alter, Geschlecht, Bildung, Beruf. Wer ins Raster passt, bekommt die entsprechende Werbung angezeigt. Egal ob er sich für rechte Gruppierungen oder abstrakte Malerei interessiert.

Jetzt werben einige Firmen wie die Deutsche Telekom nicht mehr auf Facebook, das eh schon Probleme hat, Geld zu verdienen.

Was hier zusammenkracht sind die unterschiedlichen Auffassungen von Meinungsfreiheit in Deutschland und den USA. Während es bei uns (mit einigen Ausnahmen) verboten ist, Nazisymbole wie das Hakenkreuz öffentlich zu verwenden, schützt in den USA das First Amendment die Meinungsfreiheit – und davon sind auch rechtsradikale Einstellungen geschützt. Das First Amendment wird auch von den Amerikanern hoch geschätzt und verteidigt.

Facebook sitzt als amerikanisches, aber global agierendes Unternehmen zwischen allen Stühlen: Löscht es die entsprechenden Inhalte, wird es in den USA kritisiert werden. Und löscht es sie nicht, gibt es negative Artikel in deutschen Medien.

In diesem Fall hat sich Facebook zum Löschen entschlossen, aber das Problem sitzt tiefer. Bei nationalsozialistischen Inhalten gibt es sicherlich einen Konsens, dass diese nicht okay sind. Was ist aber, wenn Facebook nächstens von türkischen Medien angegriffen wird, weil es dort Gruppen über den Völkermord an den Armeniern gibt? Oder wenn chinesische Medien Facebook dafür attackieren, dass dort Menschenrechtler und Falun Gong aktiv sind? Da kann man nur etwas falsch machen.

Gleichzeitig sind offen auftretende Nazis gar nicht das Problem: Wer sein Profil mit Hakenkreuzen und Hitlerbildern schmückt, disqualifiziert sich automatisch und zeigt auf den ersten Blick seine politische Einstellung. Viel schlimmer ist der braune Stammtischmob, der eben nicht durch das Profilbild zu erkennen ist und sich daher auch in den Kommentaren der Zeitungen austoben darf, die sich jetzt über Facebook mockieren.

Übrigens kann man der Zeit nur zu der unglaublich dämlichen Bebilderung des Artikels gratulieren.


Obama = Hitler?

3. März 2009

Das Hitlerblog spricht es an: Nicht nur der alte US-Präsident Bush, sondern auch der neue Obama sieht sich mit diversen Hitlervergleichen konfrontiert. Hitlervergleiche bedeuten zwar eigentlich eine automatische Disqualifikation, aber hier ist das Denkmuster durchaus eine nähere Betrachtung wert.
Zum Einstieg einfach mal ein typisches Video:

Dieses Thema findet sich in unzähligen Variationen. Eine hatte ich hier im Blog schon gepostet, die Google-Bildersuche liefert eine Unmenge an weiterem Material mit dem ich mein Blog für Wochen füllen könnte. Es ist jetzt natürlich nichts neues, dass Politiker mit Hitler verglichen werden. Schon George W. Bush wurde liebend gerne als neuer Hitler diffamiert, ein Beispiel hier:

George W. Bush ist der böse Imperalist, der fremde Länder angreift, die Demokratie nach einem „Reichstagsbrand“ zersetzt, der foltern lässt und auf Guantanamo ein Konzentrationslager errichtet… die Argumentationslinie kennen wir ja. Die Stoßrichtung bei Barack Obama ist anders: Er ist in einer Wirtschaftskrise an die Macht gekommen, wird von einer enthusiastischen Bewegung getragen und ist ein charismatischer Redner. Ein sehr hinkender Vergleich, aber er wird gerne von Obama-Gegnern aufgegriffen.
Hier kann man auch leicht erkennen, dass die Vergleiche aus einer anderen Richtung kommen: Waren es bei George W. Bush eher die Linken, sind es bei Barack Obama eher die Rechten. Natürlich ist es schwierig, die politischen Strömungen in den USA als rechts oder links zu bezeichnen, aber grundliegend stimmt die Tendenz. Bei Hitlervergleichen ist die politische Einstellung dann auch egal, da Hitler persönlich das absolut Böse symbolisiert.
Und was hat das Internet mit diesem Thema zu tun? Abgesehen von einigen Ausrutschern, die das Hitlerblog in dem oben verlinkten Eintrag thematisiert, wagt es natürlich keiner öffentlich so rumzuposaunen. Das funktioniert im Internet natürlich anders: Hier wird sowas diskutiert, Bilder und Videos angefertigt und irgendwie bleibt dann doch was hängen.

Den subtilsten Hitlervergleich hat übrigens die rechte Zeitschrift „Deutsche Geschichte“ gebracht. Diese gibt es an so ziemlich jedem Bahnhofskiosk in Deutschland zu kaufen:


Wie schreibt man eigentlich Hitler?

3. März 2009

Manchmal ist die automatisch in diesem Blog eingebaute Statistikfunktion doch sehr unterhaltsam. So kommen aus irgendeinem mir nicht erfindlichen Grund erstaunlich viele Leute auf dieses Blog, die nach „Penis“ suchen. Viel amüsanter sind allerdings die erstaunlich vielen fehlerhaften Schreibweisen von Adolf Hitler. Alleine im letzten Monat haben es Leute mit diesen Schreibweisen versucht:

adulf hitler
ardolf hitler
aolf hitle
adolf hirler
adolf hittler
adollf hitler
adolf hiteler
addolf hitler
adolf hitter

Besonders gut gefällt mir die Schreibweise „Ardolf Hitler“. Das hat einfach einen gewissen lautmalerischen Klang an sich. Zur Beruhigung oder Beunruhigung: Der Großteil der Leute schreibt den Namen richtig, allerdings haben immerhin sechs Leute nach „hitler nackt“ gesucht.


A Kitten for Hitler

26. Januar 2009

Ten years ago, while working on The South Bank Show, Melvyn Bragg and I had a heated discussion on the pros and cons of film censorship. Broadly speaking, Melvyn was against it, while I, much to his surprise, was absolutely for it. He then dared me to write a script that I thought should be banned. I accepted the challenge and a month or so later sent him a short subject entitled A Kitten for Hitler. “Ken,” he said, “if ever you make this film and it is shown, you will be lynched.”

Ken Russell hat diesen Film jetzt gedreht und jeder kann ihn im Internet sehen. Das Experiment kostete £10,000 und ist hier zu bewundern, natürlich inklusive Hitler, einem kleinen jüdischen Jungen, jeder Menge schlechter Green Box-Effekte und wohl ohne Lynchmob. Der so entstandene Film ist – auch wenn das jetzt fies klingt – erstaunlich zahm und langweilig. Das wirklich schlimmste ist allerdings, dass er sein Ziel verfehlt – diesen Film wird wohl keiner verbieten wollen und schon alleine dieses Blog dürfte Dinge enthalten, die deutlich schlimmer sind, von den Dingen, die ich hier noch nicht gepostet habe, ganz zu schweigen.
Hier kann man vielleicht die treibende Kraft des Internets live miterleben: Das Skript ist nunmal zehn Jahre alt und natürlich würde dieser Film, wenn er denn im Fernsehen ausgestrahlt würde, sicherlich einige Leute auf die Barrikaden treiben. Höchstwahrscheinlich würde kein Sender ihn ausstrahlen.
Der Internethumor hat die Messlatte verschoben. Wer regt sich schon über diesen Film auf, wenn es einen Klick entfernt Bilder eines nackten Hitlers mit erigierten Penis gibt?
Humor im Internet ist brachial, schert sich nicht mal ansatzweise um Political Correctness und erfreut sich riesiger Beliebtheit. Kein Tag ohne lustige Emails von Bekannten, keine Stunde im ICQ ohne Link zu einem YouTube-Video und wer sich dann immer noch nicht genügend amüsiert hat, kann sich die Zeit auf tausenden Spaßseiten vertreiben. Und der Internethumor ist demokratisch. Jeder kann ein lustiges Bild erstellen und falls es den Humor der Betrachter trifft, kann es dazu kommen, dass es sich innerhalb weniger Tage weltweit verbreitet. Eine Filterfunktion gibt es – außer dem persönlichen Humor – nicht. Keiner kümmert sich darum, ob etwas anstößig ist oder die Gefühle irgendeiner Gruppe verletzen könnte. Demokratischer, brachialer, anarchischer – und da Tabubrüche nur beim ersten Mal lustig sind, kann Russels Film heute kaum noch einen Internetuser aufregen.

Das Verstörende lauert aber in einem Satz des Times-Artikels:

Next we had the Hitler auditions. Most of the actors brought their own uniform.

Anscheinend gibt es in London massenweise arbeitslose B-Schauspieler, die eine eigene Naziuniform besitzen und sich wohl darauf spezialisieren, Nazis zu spielen. Das ist wirklich merkwürdig.


Der Holocaust und Gaza

20. Januar 2009

Der aktuelle Konflikt im Gazastreifen wird natürlich auch im Internet heiß diskutiert und die Emotionen kochen vielen über. Eine der Argumentationen, die erstaunlicherweise immer wieder auftaucht, ist, dass Israel als Staat der Holocaustüberlebenden selbst einen Holocaust in Gaza begeht.
Diese Seite (Achtung, Gewaltdarstellungen) stellt unter der Überschrift „Holocaust Suvivors from Wold (sic!) War II Make Holocaus in GAZA (Pictures)“ kommentarlos Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg neben Bilder aus dem Nahen Osten. Die Bilder besitzen eine jeweils ähnliche Bildsprache und einen ähnlichen Inhalt, ohne Kontext ist die Wirkung aber nur eine oberflächlich emotionale. Bilder ohne Beschreibung sagen nunmal fast nichts aus. Außerdem ist die Auswahl recht schlampig, da zumindestens einige Bilder eben nicht Gaza zeigen, sondern andere Konflikte. So stammt beispielsweise das Bild, in dem israelische Kinder etwas auf eine Bombe schreiben, aus dem Libanonkrieg gegen die Hisbollah.
Die Seite bezeichnet sich selbst als „A Congregation of Muslim Bloggers“. Jetzt kann man dort einfach einen traditionellen islamischen Antisemitismus unterstellen und die Sache auf sich beruhen lassen. Interessanter ist die Diskussion um eine ähnliche Gegenüberstellung auf der Social News-Seite Reddit. Die dort verlinkte Seite ist momentan offline, aber die Bilder dort funktionierten nach genau dem gleichen Prinzip. Die Story führte zu 156 Kommentaren und 272 User fanden sie so überzeugend, dass sie sie mit einem Klick nach oben bewerteten. 144 User hingegen haben sie nach unten bewertet. Diese Diskussion ist ein interessantes Beispiel, wie Geschichte in Internetdiskussionen genutzt und gleichzeitig verdreht werden kann. Für viele der User steht nämlich absolut fest, dass der Krieg in Gaza ein Holocaust ist und entsprechend werden die Fakten selektiert, um den eigenen Punkt zu unterstützen. Einige Beispiele zeigen das sehr schön. Auf den Hinweis eines Users, dass

The defining feature of the Jewish holocaust was the systemized, industrial-scale killing of civilians

wird der Holocaust ersteinmal umdefiniert:

The defining feature was the systematic ethnic cleansing, which is happening in Gaza. The so called ‚final solution‘ was an extension of that policy which is what Israel is aiming for too regarding the Palestinians.

Das ist natürlich ein cleverer rhetorischer Schachzug, hilft aber natürlich nicht weiter. Gerade die industrielle Komponente ist sehr wichtig für die Singularität des Holocausts und hier wird sie einfach ohne Erklärung, Quelle oder Begründung, nur um eine Argumentation zu gewinnen, verneint.
Sehr interessant ist auch der Umgang mit den aktuellen Fakten. Ein User schreibt dies hier:

At least the Nazis let the Red Cross into the camps. Israel was blocking everyone, the Red Cross included, from Gaza.


Das stimmt natürlich so nicht.
Der User gibt allerdings keine Quelle für seine Aussage an und kann daher seine Halbwahrheit verkünden. Ähnliches könnte man für viele Beiträge nachweisen, denn diese Diskussion ist von einem erstaunlichen Mangel an Quellen oder Nachweisen geprägt. Jeder plappert einfach so frei aus sich heraus, einige kommen dabei zu merkwürdigen Umdeutungen des Themas und am Ende reden dann doch alle aneinander vorbei. Diese Diskussion zeigt jedenfalls, wie historische Themen auch im Internet behandelt werden können – nämlich völlig unsachlich und polemisch.


Plötzlich Propaganda

2. Januar 2009

Manchmal sind die Wege des Internets merkwürdig und verschlungen. Da betreibt der Hobbyhistoriker John Mackenzie eine Website über die Kriege der Briten und plötzlich wird er von Al Qaida zitiert und wird Teil ihrer Propaganda. Das ist natürlich nichts Neues – Osama bin Laden hat in seinen Reden unter anderem auch Noam Chomsky als Lesetipp für seine Anhänger empfohlen.
Interessant ist aber die geschickte Ausnutzung des Internets durch Al Qaida. Eine simple Erwähnung eines historischen Ereignisses führt dazu, dass die Anhänger und andere Interessierte sich darüber informieren. Dann landen sie via Google auf einer Seite, die von der „anderen Seite“ betrieben wird, aber ungewollt das passende Weltbild vermittelt.
Es ist natürlich nichts neues, dass Fanatiker sich ihr Weltbild durch das gezielte Auswählen von historischen Ereignissen und Siegen bestätigen wollen. Neu sind hingegen die völlig ungeplanten Konsequenzen des Internets, das eine Webseite weltweit abrufbar macht. Nicht immer ist die geplante Zielgruppe auch die Zielgruppe, die man erreicht.


Geschichte einmal anders: Coding for Fun

20. Dezember 2008

Coding for Fun – IT-Geschichte zum Nachprogrammieren ist ein Buch mit einem zumindestens für Historiker recht neuartigem Ansatz. Das Buch beschäftigt sich, wie der Titel es schon verrät, mit der Geschichte der Programmiersprachen. Ein herkömmlicher Historiker würde höchstwahrscheinlich ein unglaublich langweiliges Buch schreiben, indem er die Entstehung diverser Sprachen beschreibt, die Verbreitung und Vor- und Nachteile darlegt.
Coding for Fun geht einen anderen Weg mit einem interaktiven Ansatz. Hier kann der Nutzer direkt mit den alten Programmiersprachen herumexperimentieren, bekannte Spiele nachbauen und somit spielerisch dem Thema näherkommen, als eine reine Geschichtsdarstellung es ermöglicht hätte.
Bei Programmiersprachen liegt der Ansatz natürlich recht nah. Aber warum sollte man so ein Konzept nicht auch auf andere Bereiche anwenden können? Warum sollte ein Mediävist nicht einmal ein Buch schreiben, das den Leser anhand diverser Quellen in das Mittelalter eintauchen lässt?


taz: Wie DDR-Funktionäre sich im Internet darstellen

16. Dezember 2008

Die taz bringt einen interessanten Artikel über Internetseiten, auf denen ehemalige DDR-Funktionäre, Stasioffiziere oder Mitglieder der Grenztruppen ihre Sicht der Dinge darstellen und damit natürlich kräftig von der herkömmlichen Darstellung abweichen. Und natürlich sind nicht alle glücklich, dass es solche Seiten gibt. Der Artikel zeigt sehr deutlich, dass Geschichte im Internet nicht nur von „offiziellen“ Medien oder Historikern gemacht wird, sondern dass es auch eine durchaus Breite Bewegung von Leuten geben kann, die eigene Thesen vertreten und das recht lautstark.
Wirklich erstaunlich an der dort genannten MfS-Insiderseite ist allerdings das extrem gruselige Webdesign. Es ist sehr häufig so, dass Seiten, die wirre Gedanken verbreiten auch wirres Webdesign haben. Das ist nicht nur hier so, sondern lässt sich auch bei diversen 9/11-Verschwörungstheoretikern, Reichsflugscheibenwirrköpfen oder Mikrowellenterroropfern erkennen. Je wirrer die Seite, desto wirrer die Thesen.

Update: Nachdem das weblog.histnet.ch diesen Artikel verlinkt hat, schaden sicherlich einige weitere Ausführungen nicht. Natürlich reicht das Layout nicht aus, um Geschichtsklitterung zu identifizieren und wird es in Zukunft immer weniger. Das Layout dieses Blogs ist z.B. einfach ein Standardtemplate, das WordPress.com anbietet. Ich hoffe zumindestens, dass es nicht wirr wirkt. Aber genau wie ich kann jeder andere dieses Design nutzen. Diese vorgefertigten Templates gibt es in jedem CMS.
Trotzdem kann man einiges am Layout und natürlich der Sprache festmachen. Wenn der GBMEV auf seiner Webseite in einem Artikel „Gegen die Entstellung von DDR-Geschichte“ folgendes schreibt, dann spricht das Bände:

Warum verstärken die in der BRD herrschenden Kreise, ihre Geschichtsschreiber, ihre Medienmacher ihre Anstrengungen, die DDR im nachhinein zu verleumden? Wir meinen: Die zunehmenden Angriffe auf alles, was links ist, drücken eine tiefe Systemkrise der bürgerlichen Gesellschaft aus, sind Zeichen für die Hilf- und Ausweglosigkeit der politischen Klasse.

Da sollten eigentlich bei jedem die Alarmglocken klingeln – und zwar nicht nur bei Historikern, die zumindestens theoretisch eh jede Quelle einer entsprechenden Quellenkritik unterziehen sollten.
Und wie soll man nun mit solchen Seiten umgehen? Die Idee, sie bei Google sperren zu lassen, ist eindeutig fehl am Platze. Google sperrt zum einen eh keine Webseiten einfach so und falls sich auf ihnen etwas strafrechtlich relevantes findet, dann müssen die rechtstaatlichen Mittel genutzt werden. Die hinter den Seiten und Vereinen stehenden Leute geben sich ja eh keine Mühe sich zu verstecken.


Wie wird in Internetforen diskutiert?

3. Dezember 2008

Jeder, der sich häufiger mal Computer- oder Videospiele kauft, weiß, dass ein nicht unbedeutender Teil von ihnen historische Szenarien benutzt. Der Großteil davon entfällt dabei auf den Zweiten Weltkrieg.
Daher war es sehr interessant zu sehen, was passiert, wenn jemand in einem der größten Videospielforen weltweit die provokante Frage stellt, warum diese ganzen Spiele nicht den Holocaust thematisieren.
Es ist in der Tat so, dass die meisten dieser Spiele recht tumbe Actionspiele sind, in denen es meistens darum geht, möglichst viel in die Luft zu jagen. Einige Spiele nähern sich dem Thema auf etwas subtilere Weise, aber auch sie sind meistens auf Action ausgelegt. Ansonsten gibt es noch Strategiespiele, in denen man diverse Schlachten nachspielen kann, aber eine Thematisierung des Holocausts, von Kriegsverbrechen oder dem Leid der Zivilbevölkerung findet meistens nicht statt. Weltkriegsspiele sind eben eher Abenteuerspielplatz und keine wirklich tiefgreifende Beschäftigung mit dem Thema.

Und wie reagieren die User von NeoGAF auf die Frage? Zum einen zeigen sie sich sehr interessiert an der Frage und schrieben innerhalb von drei Tagen 200 Beiträge zum Thema. Dabei lässt sich auch eine klare Trennung erkennen – ein Teil der User beschäftigt sich wirklich mit dem Thema, andere nicht. Der wohl dümmste Beitrag ist dieser hier:

they should just make a Nazi internment camp actually a spaceship that lifts off and uses people as fuel.

Sowas ist aber zum Glück nur ein negativer Ausrutscher in einer ansonsten recht gesitteten Diskussion.

Die Kernfrage, um die sich die Diskussion dreht, ist, wie man den Holocaust in einem Spiel vernünftig umsetzen könnte. Hier treffen zwei Standpunkte aufeinander, die man in der Videospielcommunity häufiger antrifft: Für die einen sind Spiele einfach nur ein Zeitvertreib und sollen Spaß machen. Daher ist für sie eine Thematisierung des Holocausts nicht sinnvoll, da er schlicht und einfach keinen Spaß macht. Die andere Gruppe sieht Videospiele als ernstzunehmendes Medium, das auch schwierigere Themen aufgreifen darf. Für sie wäre es ein interessanter Ansatz, dem Medium Videospiel eine neue Tiefe zu geben. Allerdings fragen sie sich, wie man soetwas umsetzen könnte und welcher Entwickler dazu in der Lage wäre.
Dabei biß sich die Diskussion vor allem an den Zweite Weltkriegs-Egoshootern fest. Das Thema als Actionspiel darzustellen ist sicherlich sehr schwierig, aber andere Genres wie Adventurespiele oder Rollenspiele könnten es sicherlich besser machen.

Erstaunlich ist auch die Diskussion um die Frage, was denn der Holocaust mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hat. Ist er ein seperates Ereignis oder Teil des Krieges? Viele professionelle Historiker wird es erschrecken, dass die Fakten für die Argumentation fleißig aus Wikipedia bezogen werden und die Wikipedia als unumstößliche Instanz gilt, die auch nicht in Frage gestellt wird. In Internetdiskussionen ist das allerdings gängiger Standard. Zum einen ist der Großteil der Internetnutzer es gewöhnt, ihre Informationen in der Wikipedia nachzuschlagen und zum anderen hat das etwas mit Zugänglichkeit zu tun: Die Wikipedia ist nur einen Klick entfernt. Wer in einer solchen Diskussion z.B. auf ein Buch verweist, verlangt vom Gegenüber, dass er sich in eine Bibliothek aufmacht, dort das Buch sucht und die entsprechende Stelle durchliest. Im schlimmsten Fall hat die örtliche Bibliothek das Buch nicht (nicht jeder wohnt in einer Stadt mit gut ausgestatteter Universitätsbibliothek) und er muss das Buch kaufen. Die Wikipedia ist im Vergleich die bessere Variante. auch wenn man natürlich andere Seiten verlinken könnte.
Zum Schluss muss man festhalten, dass diese Diskussion natürlich nicht verallgemeinert werden darf. Jedes Forum hat verschiedene Nutzer. Es ist z.B. davon auszugehen, dass die Diskussion in einem deutschen Forum anders ablaufen würde.


Blogs als Tagebuch

1. Dezember 2008

Journalisten, die keine Ahnung haben, bezeichen Blogs häufig als Internettagebücher. Das ist natürlich eine falsche Bezeichnung – dieses Blog ist vieles, aber definitiv kein Tagebuch. Das BILDblog hat mit einem Tagebuch nichts zu tun und auch die wirklich riesigen Blogs wie Engadget sind weit davon entfernt, ein simples Tagebuch zu sein. Wirklich stark sind Blogs immer dann, wenn sie sich auf ein bestimmtes Thema konzentrieren.

Allerdings kann man ein Blog natürlich auch als Tagebuch benutzen. Hier schlagen dann die Kritiker zu und schreien laut „Wer will den sowas Uninteressantes lesen?“ Ganz anders sieht es aus, wenn es sich bei den Tagebuchschreibern um berühmte Personen handelt. Wirkliche Berühmtheiten schreiben zwar nur selten private Blogs, aber dafür haben viele bekannte historische Personen Tagebuch geführt.

Die Seite Orwell Diaries veröffentlicht die Tagebucheinträge von George Orwell genau 50 Jahre nach ihrem Entstehen als Blogeintrag. Das Tagebuch kann bequem per RSS abonniert werden und fast jeden Tag erscheint ein neuer Eintrag im Feedreader. Das ist eine sehr interessante Variante, sich mit dem Autor zu beschäftigen – man könnte das Tagebuch zwar auch als gedrucktes Buch lesen, aber so wirkt es deutlich authentischer und man liest die Einträge deutlich gemächlicher – eben nur einen pro Tag, etwas, das man bei einem gedruckten Buch nie machen würde. Außerdem besteht die Möglichkeit, mit anderen Menschen weltweit per Kommentarfunktion über einen Beitrag zu diskutieren.

Vergleichbar ist die Seite WW1: Experiences of an English Soldier, die Feldpostbriefe des englischen Soldaten Harry Lamin genau 90 Jahre nach Entstehen veröffentlicht. Der besondere Clou lag daran, dass es sich um eine ganz normale Person handelte und die Leser absichtlich im Unklaren gehalten wurden, ob Harry den Krieg heil übersteht oder nicht. Die Leser der Seite fieberten „live“ mit Harry und freuten sich über jedes Lebenszeichen von ihm, ähnlich wie vor 90 Jahren seine Familie.

Diese zwei Beispiele zeigen, wie man mit einer guten Idee und vorhandener Technik völlig neue Zugangsmöglichkeiten zur Geschichte schaffen kann, die eine breite Leserschaft erreicht. Ein Buch mit den gesammelten Feldpostbriefen wäre sicherlich deutlich weniger ansprechend gewesen und hätte den Lesern auch einen ganz anderen Zugang geboten. Gerade das Warten und Hoffen zwischen den Briefen ist eine Erfahrung, die ein Buch nicht bieten kann. Mir fehlen momentan die wirklich zündenden Ideen, aber es gibt sicherlich einige spannende Möglichkeiten mit Wikis, Blogs, Chats oder Videospielen Leuten historische Themen näherzubringen.